KULTUR ELLE - Frauenplatz Biel
←
→
Transcription du contenu de la page
Si votre navigateur ne rend pas la page correctement, lisez s'il vous plaît le contenu de la page ci-dessous
Info Frauenplatz Biel FRAUENPLATZ Biel/Bienne Femmes en réseau Bienne FEMMES EN RESEAU Doppelnummer 2/2018 Numéro double 2/2018 KULTUR ELLE Introduction: «Nous les femmes!» – D’une grève à l’autre 1918–2018 Nous entendions tout d’abord organiser une manifestation pour le jubilé de la Grève géné- rale de 1918 en Suisse dans la perspective des femmes. Nous avons fini par mettre sur pied une visite guidée extraordinaire de la ville intitulée «‹Nous les femmes!› – D’une grève à l’autre 1918–2018». C’est un plaisir de vous présenter ce numéro spécial de KulturElle, consacré à cette visite guidée. En 1918, les femmes se sont mises en grève. Elles étaient animées pas la faim, les condi- tions de travail déplorables, mais également par la deuxième des neuf revendications du comité d’action d’Olten, le droit de vote et d’éli- gibilité pour les femmes. Bienne fut un terrain d’activité agité où les femmes déterminées jouèrent un rôle important. Le rôle et le mili- tantisme des femmes durant cette période ne suscitèrent longtemps qu’un intérêt limité. L’as- sociation Femmes en réseau Bienne s’engage pour la réalisation complète de l’égalité. L’une Einleitung: «Wir Weiber!» – Frauen im de nos revendications centrales est de perce- voir les femmes comme des sujets actifs dans Streik 1918–2018 leur contexte politique et économique, de leur donner une visibilité et de faire connaître à un Eine Veranstaltung zum 100-Jahre-Jubiläum Umfeld sichtbar zu machen und ihre Lebenssi- large public les conditions de vie des femmes des Landesstreiks 1918 aus Frauensicht zu tuationen in ihrer historischen Bedingtheit einer dans leur dimension historique. organisieren – davon gingen wir aus. Her- breiten Öffentlichkeit zu vermitteln. C’est pourquoi nous avons préparé une vi- ausgekommen ist ein aussergewöhnlicher, Aus diesem Grund widmet sich «Wir Weiber!» site guidée extraordinaire de la ville, «‹Nous einmaliger Stadtrundgang mit dem Titel «‹Wir ausgewählten Aspekten der jüngeren Bieler les femmes!› – D’une grève à l’autre 1918– Weiber!› – Frauen im Streik 1918–2018». Wir Stadtgeschichte und schlägt eine Brücke von 2018», pour mettre en lumière des aspects freuen uns sehr, diese Sondernummer der 1918 bis 2018: der Hungerstreik und die choisis de l’histoire récente de notre ville: KulturElle diesem Rundgang zu widmen und Frauen im Landesstreik von 1918, der Bieler L’émeute de la faim de 1918, la grève natio- laden Sie herzlich ein, teilzunehmen und mit- Milchkrieg von 1930/31, der Kampf ums Frau- nale des femmes de 1918, la «guerre du lait» zudiskutieren. enstimmrecht bis 1971, die Frauenbewegung de 1930/31, la lutte pour le vote des femmes von 1971 bis heute sowie die Frage nach ei- jusqu’en 1971, Le mouvement féministe de- Hunger, desolate Arbeitsbedingungen und die nem Frauenstreik 2018. puis 1971 et la prochaine grève des femmes. Forderung nach politischer Gleichstellung – die zweite Forderung des Oltener Aktionskomitees Ganz herzlich bedanken möchten wir uns bei «Nous les femmes!» prenons part au débat. 1918 war das Frauenstimmrecht – bewegten den Expertinnen – Anne-Valérie Zuber, Kathari Nous réclamons haut et fort une place égale Frauen in der Schweiz dazu, ihre Arbeit nieder- na Hermann, Rahel Wehrlin, Luzia Sutter Reh- aux hommes dans l’histoire passée et future zulegen und zu streiken. Auch in der Indust- mann, Lisia Bürgi und Magda Kaspar sowie Lisa de notre démocratie. riestadt Biel war und ist viel los, die Bielerinnen Mazzone – für ihre Beiträge in dieser KulturElle sind selbstbewusst und selbstbestimmt dabei. sowie ihre Mitwirkung am Stadtrundgang. Nous remercions toutes les expertes – Anne- Der Rolle und dem Aktivismus der Frauen ist Valérie Zuber, Katharina Hermann, Rahel während langer Zeit jedoch wenig Aufmerksam- Ja, «Wir Weiber!» reden mit und reklamieren Wehrlin, Luzia Sutter Rehmann, Lisia Bürgi et keit geschenkt worden. Der Verein Frauenplatz – laut und deutlich – einen gleichberechtigten Magda Kaspar ainsi que Lisa Mazzone – pour Biel setzt sich für die Umsetzung der Gleichstel- Platz in der Erinnerung, wie sich Demokratie leur contribution à ce KulturElle et leur partici- lung ein. Darum ist es uns ein zentrales Anlie- entwickelt hat, und beim Gestalten der Zukunft. pation à la visite guidée. gen, Frauen als handelnde und aktive Subjekte in ihrem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Die Redaktion La rédaction 2501 Biel / Bienne I www.frauenplatz-biel.ch 1
WIR WEIBER NOUS LES FEMMES Seite 8 Die Vorkämpferin Nr. 5 wir weider! n. Mig, Mir blünen wis lZIumsn im stillen IZsrten, Mir bsugsn äis Uscksn in lZsmut äsr Ucht, Mir trsnmsn von 1-iebe, wir wsrten, wir wsrten Mir äierisn äsr kisbgisr, wir äisnen äsr Us;t, Uus äsn, äer irn5 ririt äer Zssls erdlickt, Mir lchssn äis Mitär in äsn Urlisten oersisgsn kiuf äsn, äer un; finäet, -tuf äsn, äer un; knickt — Unä opjsrn äis liinäsr äsr keuche, äsn Kriegen, Mir Meiose. Mir Meiber. Mir jäiweden wie Uögel !um färwsnken lZesste, Hluti nein! Mir srwsmsnt Mir llslten lZeriärtl flsuinfsäern äis trsgen wir sifrlg ?nm Uchte, Mir wsrsn äis ^klsvsn — wir bleiben S5 nickt! Mir sinä;, äie äis lisbliären Utsinsn dringen. Unä msg sr oeräorren, äer Mte lZsrtsn: Mir lsNrsn sie ^witjäiern, wir lellren sie fingen — Mir tlkiben äsn lZl-uiden, wir können wsrten — Mir Meiose. Mir Meiber. Abb. 1: Gedicht aus der Zeitschrift «die Vorkämpferin», der Monats- Zu unseren Illustrationen. Der Maifestnummer zum Geleite. zeitschrift des schweizerischen Arbeiterinnenverbands, 1920. L’émeute de la faim Giuseppe Scalerini, der begabte Satiriker und Künstler des Möge sie unsere Leserinnen anregen und sie veranlassen, �Avanti", Zuber Anne-Valérie Zentarlorgan der sozialdemokratischen Partei Ita¬ irgend eine Versammlung der Sozialdemokratischen Partei liens, den Genosse Nobs im Volkskalender des Jahres 1918 ge¬ zu besuchen oder sich der Gewerkschaft anzuschließen. Mau würdigt hat, stellte uns in liebenwtirdiger Weise zwei Origianal- darf sich den heutigen Zuständen gegenüber, der großen «Le zeichnungen für s’est 8 juillet 1918 déroulé Nummer die heutige dans la vieille zurville de Bienne un Verfügung. Wirévéne- ver¬ Teuerung, den in Aussicht stehenden weiteren Erhöhungen danken ment sans dieser Stelle anprécédents. Lesdie«troubles» queGabe freundliche und lasind rapporte der Ueber¬ presse locale der Preise auf die notwendigsten Bedarfsartikel in Form zeugung, dès daß sie le lendemain ontunsren Leserninquiété suffisamment große lesFreude bereitet. autorités Jede pour que le Nummer des �Avanti" ist durch eine die heutige Gesellschaftsord¬ von Zöllen, nicht gleichgültig Verhalten. Gewiß kann man général Wille mette la ville sous commandement militaire, interdise Z U S A M M E N FA S S U N G sagen, dies alles geht mich nichts an, ich kümmere mich nicht nung und deren Mißwirtschaft geißelnde Zeichnung Scalarinis de manière définitive tous les rassemblements et menace, en cas de ich will mit diesen Dingen nichts zu tun haben. bereichert. récidive, d’en appeler à la justice militaire et à des «fusils chargés». umDerPolitik, «Jungburschenkrawall» Aber was nützt es? Diese Dinge kümmern sich um uns, ,Muß ich sterben?" fragte sie einst, viele Tage, nachdem In der Bieler machen uns das Innenstadt Leben fand immeram 8. Juli 1918 und schwieriger ein beispielloses unbequemer. C’est der en Arzteffet dans un climat ihm^gesagt de tension hatte, sie leide montantean que,der pendant l’après- galoppierenden Ereignis statt: Infolge der Der großensog. Wohnungsnot, «Jungburschenkrawall». Die jungen der hohen PreiseSozi- der midi du 8 juillet,und Schwindsucht uneihr foule de de Biennoises Zustand sei hoffnungslos.et Biennois mécontents alisten («Jungburschen») Einrichtung kommt derhatten dieses Arbeiter, Treffen die aufgrund der unru- Arbeiterin nur unter Er antwortete se rassemble devant nichts l’Hôtel und de Ville. ließ Depuis den Kopf le début sinken.de l’année, la higen Verhältnisse großen Entbehrungen und derundverschärften Nahrungsmittelknappheit schwierigen Verhältnissen zur pénurie alimentaire �Ich weiß, daß s’aggrave, ich bald les grèveswerde," sterben et les manifestations sagte sie. �Reich se mul-mir initiiert. Ehe, auchBald wird unser daverloren sie jedoch die Kontrolle ureigenstes Leben,über die aufge- unsere beson¬ die Hand." tiplient. Celle du 8 juillet a été initiée par les jeunes socialistes («Jung- brachteWünsche deren Menge von undrund 800 Menschen. Bedürfnisse, sehr Pflastersteine stark durch flogen äußere Und als burschen»). Mais, ihr àdiel’afflux er face Handspontané des habitantes entgegenstreckte, küßteetsie sie mit habitants Umstände beeinflußt. des und ein Kartoffeltransport Werstädtischen über die Lebensmittelamtes tatsächlichen im Zu¬ ihren heißen pauvres Lippen de la vieille und ville, ils sprach: se retrouvent rapidement en minorité et Wert von stände 3000 Fr. wurde nachdenkt, wird von sagen, das geht nichtDemonstranten geplündert, erst ge- mich nichts an, �Vergib ne tardent pas mir, ich bin à perdre schuldig des le contrôle an dir! quelque Ich800 habe mich geirrt personnes qui genkümmere ich Mitternacht nichts konnte mich die Armee Situationwird darum,diesondern deu – beruhigen dies Wunsch und dir«ÀQualen clament À manger!Ich manger!zugefügt. On est on nedas’en sehelà,nun, dasvaLeben zu Ende pas!» dans un und jedoch nicht in Drang mit sich friedlichen nach Kräften fühlen,Mitteln: Ein Mannzur Besserung, verlor sein Leben. zur geht, daß mein Glaube nur Furcht vor dem Unbegreiflichen war, Abhilfe Dass auch viele Frauen anAber beizutragen. der Revolte wir auch wenn beteiligt diesen waren, Drang bestätigen esprit de révolte ouverte contre les autorités. Les pavés volent, les eine Furcht, die ich trotz meines aufrichtigen Wunsches, trotz crachats fusent. Ni la lance incendie des pompiers, ni les baillonnettes inzahlreiche uns spüren, allein richten wir nichts aus, sondern nur Polizeiberichte. deiner Bemühungen nicht überwinden könnte. Es war nichts des als soldats Furcht,neaberparviennent à calmer mir les imesprits. in Gemeinschaft mit denen, welche auf ihre Fahne ge¬ sie steckte Blut, La ichpolice war procède mit ihrà zur de schrieben haben: Verbesserung der heutigen Zustände, Aen¬ Welt gekommen. nombreuses Im pour arrestations Denken des motifs war ich allant de « l’insulte selbständig, es » war à l’ « inci- dem derung derselben und vollständige Umgestaltung der ganzen deinen vilité » en ähnlich, passant par aberle das«vol deHerzpommesblieb de ihm terre». fremd. Ich lasehe En effet, réserve nun, du hattest d’une municipale, aber mein recht, valeur de 3000 konnteest Herzfrancs, dirrenversée nicht zustimmen." et pillée par Wirtschaftsordnung. Eine solche Gemeinschaft ist die Sozial¬ Einige Tage les manifestants. Cedarauf n’est que starb verssie; minuit et avec ihres während Todeskampfes le renfort de l’armée demokratische Partei und die Gewerkschaften (Berufsver¬ ergraute que la colère ein Mann er,populaire fini parvonêtre siebenundzwanzig calmée. Un jeune homme, Jahren. Edouard bände). Jeannet, Vorsuccombe kurzem hat er die einzige aux blessures d’une balleFreundin perdue.jenes Mädchens, Wer sich nicht selbst schädigen will, erkundige sich wenig¬ eine seiner Schülerinnen geheiratet. Sie gehen jetzt auf den stens genauer über Zweck und Ziel der sozialdemokratischen De nombreuses femmes participent à la révolte. Leur présence est Friedhof — zu ihr. Jeden Sonntag wandern sie dort hinaus, Bewegung und stehe nicht länger teilnahmslos beiseite oder notamment um Blumen documentée auf ihr Grab dans les legen. rapports de police. Leur jugement zu kaufe einmal am 1. Mai einen Maibändel oder Wenns hoch dans le Erprocès qui nicht fait suite àseinen l’émeute de laund faim est der imprégnée du rôle glaubt an Sieg ist festen Ueber¬ geht eine Zeitung, um sie flüchtig oder gar ungelesen bei de nourricière qui leur était attribué. Une jeune zeugung, daß sie, als sie ihm recht gab, absichtlich die Unwahr¬ mère qui avait ramassé Seite zu legen. Die sozialdemokratische Bewegung ist nicht des heitpommes sagte, nur de terre um ihn pour zu nourrir ses deux trösten. Seine Gattin enfants en ist basderselben âge est um ihrer selbst willen da, sondern um all derjenigen willen, Meinung, excusée par leund beide juge. Pflegen liebevoll En revanche, une femme das Andenken divorcée der Toten. est jugée «écer- Anne-Valérie Zuber die unterdrückt und ausgebeutet sind, sie verspricht auch Ihr trauriges velée» Geschick et «de mauvaise spornt sie Même compagnie». an, sies’ils rächen zu sont und verleiht dissociables du keine Besserung im Jenseits, sondern Aenderung des Be¬ ihrer gemeinsamen, soulèvement, ces «faits»niesont erlahmenden invoqués comme Tätigkeit motifseine pourbesondere justifier Unermüdlichkeit und etwas ganz besonders Umfassendes nnd stehenden mit Hilfe aller derjenigen, welche darunter leiden. leSchönes. refus du recours en grâce réclamé par les Biennoises Lina David est collaboratrice scientifique du département d’histoire au NMB Wer nicht dazu gehört, kann ruhig teilnahmslos bei Seite Nouveau Musée Bienne. et Marguerite Hadorn.feiertäglich-bunte Der lebendige, L’engagement politique Stromestder en effet considéré Menschen wogt stehen, von all den anderen hoffen wir zuversichtlich, daß comme im Lichteun domaine der Sonne d’hommes.dahin;Les eincontrevenantes fröhlicher Lärm sont épinglées begleitet par Elledeu sie a étudié Wegà zu l’Université de Fribourg uns finden. An et à l’Université jedem du Québec Orte, auch an den ihn, desKinder jugements moraux. schreien und Malgré lachen. Es tout, lorsqu’est ist nicht déclarée allen la leichtgrève undgéné-froh à Montréal, obtenant un Master en Etudes klemen und kleinsten, hat es einen sozialdemokratischenEuropéennes en février zumute, rale, au mois sicherlich sind viele de novembre 1918, Herzen elles sont dumpfer Trauer von également nombreuses ersülltà 2018. eine Sektion von Mänern und Frauen, die sich Verein, y und vielepart. prendre Köpfe von Widersprüchen gemartert. Aber alle schrei¬ freuen, recht viele Gleichgesinnte bei sich aufnehmen zu ten der Freiheit, der Freiheit entgegen! können. Und je mehr die Reihen sich schließen, desto schneller kom- 2men wir dem Ziele nahe! lÄ Numéro double 2 / 18 I www.femmes-en-reseau-bienne.ch Druck der Genossenschastsdruckerei Zürich
WIR WEIBER NOUS LES FEMMES Abb. 2a: Der Bieler Burgplatz 1918: Links das Stadttheater, daneben Stadtverwaltung und Rathaus; in der Mitte des Platzes ein Telefonlei- tungsträger mit elektrischen Strassenlampen, rechts der Gerechtigkeitsbrunnen. Auf dem Boden liegen die von den Demonstranten als Wurfgeschoss verwendeten Pflastersteine. Abb. 2b: Rue du Canal: chariot à tuyaux des pom- Abb. 2c: Ruelle du Bourg: les pavés lancés par les manifes- piers et corbeilles de pommes de terre jetés dans tants, photo de la police au lendemain de l’émeute de juillet. le canal alors à ciel ouvert. www.femmes-en-reseau-bienne.ch I Numéro double 2 / 18 3
WIR WEIBER NOUS LES FEMMES Abb. 3: Streikende sowie Bewohnerinnen und Bewohner stellen sich bei Biel auf die Geleise und halten zwei Militärtransportzüge in Richtung Biel auf. Frauen im Landesstreik Katharina Hermann Am 13. November 1918 – dem zweiten Landesstreiktag – wurde mit stand das Frauenstimmrecht erstmals auf der Traktandenliste der an die schweizerische Armeeleitung folgendes gemeldet: «Bei Biel eidgenössischen Gesetzgebung. Beide Motionen verschwanden aber stellten sich Weiber auf die Geleise; der Zugführer musste sich über unbehandelt in der Schublade des Bundesrats. Nidau-Lyss-Suberg-Münchenbuchsee nach Bern flüchten.» Wie gezeigt, waren Frauen auf vielfältige Weise im Landesstreik aktiv, die Hoffnung auf die Gewinnung der politischen Rechte wurde aber ent- Nicht nur in Biel standen Frauen auf den Schienen, auch für Gleisblocka- täuscht. den in Grenchen lässt sich die Beteiligung von Frauen an Streikaktivi- täten nachweisen. Sozialdemokratische Frauen marschierten gemein- sam mit den Männern an Demonstrationen, organisierten Streikposten, z. B. in Wirtshäusern, um das vom Oltener Aktionskomitee (OAK) ver- RÉSUMÉ abschiedete Alkoholverbot durchzusetzen, veranstalteten Versammlun- Les femmes et la grève générale de 1918 gen, um Unorganisierte für Gewerkschaften und SP-Frauengruppen zu gewinnen und versuchten das Militär dazu zu bringen, nicht gegen die Le 13 novembre 1918, l’Armée suisse signalait la présence à Streikenden vorzugehen. Bienne de femmes sur les voies de chemin de fer ainsi que la fuite Auch im Bereich der Lebensmittelversorgung setzten sich die Frauen d’un conducteur de train. Effectivement, les femmes jouèrent un ein, einerseits konkret am proletarischen Herd und andererseits orga- rôle très actif durant la Grève générale. A gauche, elles défilaient nisatorisch: in Zürich richteten die sozialdemokratischen Frauen eigens avec les hommes, organisaient le ravitaillement, se relayaient eine Notstandskommission ein. Auch die Kinderbetreuung während dans les bistrots pour imposer la prohibition de l’alcool comme der Streiktage wurde hauptsächlich von Frauen organisiert, wie das mesure préventive contre la violence, assuraient avec l’associa- Beispiel der Stadt Zürich zeigt: Gemeinsam mit dem sozialdemokra- tion des enseignants la garde des enfants et leur éloignement des tischen Schulverein und der sozialdemokratischen Lehrervereinigung lieux d’affrontement possibles avec l’armée. A droite, elles s’occu- organisierten die SP-Frauengruppen Ausflüge, um die Arbeiterkinder paient par exemple des soldats atteints de la grippe espagnole vor Zusammenstössen mit dem Militär zu bewahren. et luttaient pour le droit de vote. Ce sujet mis d’ailleurs certaines Nicht nur bei den Streikenden, auch auf der Gegenseite waren Frauen femmes bourgeoises dans l’embarras. Emilie Gourd, professeure, aktiv: Vor allem bürgerliche Frauen engagierten sich während des Lan- journaliste, figure de proue du féminisme suisse et notamment pré- desstreiks für die Armee und in der Pflege der grippekranken Soldaten. sidente de l’Association suisse pour le suffrage féminin, fut ainsi Aufgrund der Frauenstimmrechtsforderung gerieten aber gewisse bür- critiquée à gauche pour ne pas s’être solidarisée avec la grève et gerliche Frauen in ein Dilemma: Sie lehnten den Streik ab, arbeiteten à droite pour avoir relayé la deuxième des neuf revendications du aber seit Jahren auf die Erlangung des Stimmrechts, die zweite der Comité de la grève. Le 12 novembre 2018, les Allemandes et les neun Streikforderungen, hin. Emilie Gourd, die Präsidentin des Schwei- Autrichiennes accédèrent à la citoyenneté. Les Suissesses durent zerischen Verbands für Frauenstimmrecht, sandte direkt am ersten attendre encore longtemps et d’innombrables motions et interven- Streiktag, dem 12. November, ein Telegramm an den Bundesrat, in wel- tions pour que les hommes leur accordent l’égalité politique. chem sie die Umsetzung der Frauenstimmrechtsforderung verlangte. Diese Aktion rief heftige Reaktionen hervor: Die Streikenden kritisierten Gourd, da sich diese vom Streik distanzierte und aus den eigenen Rei- Katharina Hermann hen schlug ihr Kritik entgegen, da sie sich mit den Streikenden solidari- siert habe. Für ihr Vorgehen erhielt Gourd aber auch Lob: Sie hätte die Zeichen der Zeit erkannt, schliesslich wurde am 12. November 1918 ist Doktorandin an der Universität Bern und im SNF-Forschungs- sowohl in Deutschland, als auch in Österreich das Frauenstimmrecht projekt «Krieg und Krise: Kultur-, geschlechter- und emotions- gesetzlich verankert. historische Perspektiven auf den schweizerischen Landesstreik Im Nachgang des Landesstreiks wurden auf eidgenössischer Ebene vom November 1918». Sie erforscht den Landesstreik aus einer vom SP-Nationalrat Herman Greulich und vom freisinnigen Nationalrat frauen- und geschlechterhistorischen Perspektive. Emil Göttisheim Motionen für das Frauenstimmrecht eingereicht. Da- 4 Numéro double 2 / 18 I www.femmes-en-reseau-bienne.ch
WIR WEIBER NOUS LES FEMMES Hausfrauen im Kampf für die Milch vor der Haustür. Der Bieler Milchkrieg 1930/31 Rahel Wehrlin «Bielerfrauen, der Milchhändlerverband und die Konsumgenossen- in politischen, sozialen und ökonomischen Fragen aus. Dazu zählten schaft weigern sich, den Wünschen der Frauen zu entsprechen und eine permanente Präsenz in den lokalen Medien, Kundgebungen, In- die Hauslieferung der Milch, für diejenigen, die es wünschen, frei zu formationsveranstaltungen und Protestversammlungen. Mit diesen geben. Es bleibt uns Frauen nichts anderes übrig als zu Machtmitteln Massnahmen konnten die Frauen die breite Bevölkerung für ihr Anlie- zu greifen. Vorerst laden wir euch alle zu einer Frauen-Protest-Ver- gen gewinnen und sie schafften es, eine Welle der Solidarität auszulö- sammlung auf Dienstag, den 2. Dezember 1930, abends 8.15 Uhr sen. Um ihre Ziele zu erreichen, intervenierten sie auch auf politischer ins Rathaus ein. Frauen erscheint alle zur Aufklärung.» Ebene; zudem zeigten sie sich stets bereit, mit der Gegnerschaft Ver- handlungen zu führen. Da diese jedoch erfolglos blieben, griffen die Dieser Aufruf war der Beginn einer Frauenaktion, die als «Bieler Milch- Frauen zu ihrem letzten, dem zweifellos wirksamsten Druckmittel: Sie krieg» in die Stadtgeschichte eingegangen ist. Über zehn Frauenverei- boykottierten die Händler, beschafften sich die Milch selber und orga- ne solidarisierten sich 1930/31 mit aktiver Beteiligung vieler Hausfrau- nisierten die Verteilung an die Bevölkerung mittels der Errichtung einer en, um im Milchstreit ihre Rechte als Konsumentinnen zu verteidigen Zentralmolkerei. und um gemeinsam gegen die bestehenden wirtschaftlichen Machtver- Mit dem Sieg im Milchkrieg gelang es den Frauen, sich einen Platz im hältnisse anzukämpfen: Die Bieler Hausfrauen forderten 1930 die kos- öffentlichen Diskurs zu sichern. Zwar genossen die Frauen 1930/31 tenlose Wiedereinführung der Milchlieferung vor ihre Haustüre. Als der noch keine politischen Mitspracherechte, doch es ist bekannt, dass die Milchhändlerverband die Forderung der Frauen ignorierte, entwickelte Aktivitäten der Frauenverbände mit dem Milchkrieg nicht endeten. So sich der Konflikt zum Stadtpolitikum. lancierten sie bereits 1945 einen ersten Vorstoss für das Frauenstimm- Mit Beginn des Ersten Weltkrieges bildeten sich in den Dörfern Milch- und -wahlrecht. Die Bieler Frauen erreichten dank ihres Einsatzes im genossenschaften, welche die Milch einer Zentrale in den Städten, so Milchkrieg 1930/31 wirtschaftliche, gesellschaftliche und zweifellos auch in Biel, lieferten. Die Milch wurde nicht mehr wie vor dem Krieg auch politische Akzeptanz, die für ihre künftige Arbeit von Nutzen war. nach Hause, sondern aus Spargründen von dieser Zentrale aus in so- Sie wurden zu ernstzunehmenden Akteurinnen, die im politischen Pro- genannte Débits geliefert, die in der ganzen Stadt verteilt waren. Die zess nicht mehr übergangen werden konnten. Bevölkerung musste die Milch in diesen Abholstellen kaufen. Obschon nach dem Ersten Weltkrieg die Bauern in fast allen Schweizer Städten die Hauszustellung der Milch wieder aufnahmen, bestimmten die Milch- händler im Seeland, dass die Hauslieferung ab jetzt polizeilich verboten sei. Die Unzufriedenheit über die Willkür der Milchhändler brachte den Bieler Hausfrauenverein dazu, das Problem der Hauslieferung in Biel aufzugreifen. Es war einerseits die wirtschaftliche Not sowie andererseits Legitimati- onsvorstellungen, welche die Frauen dazu motivierten, sich gegen den Milchverband zu erheben. Der Aufstand der Frauen war aber keines- wegs ein verzweifelter Akt der Selbstjustiz. Vielmehr zeichneten sich die einzelnen Aktionen durch ein wohlorganisiertes Vorgehen, den ge- schickten Einsatz gezielt gewählter Mittel sowie eine hohe Kompetenz RÉSUMÉ Les ménagères et la «guerre du lait» Au début de la Première guerre mondiale et pour des raisons éco- Abb. 4: Aufruf der nomiques, des coopératives laitières se constituèrent dans les Bieler Frauen zum villages, livrant le lait à des centrales en ville , comme à Bienne, Milchkrieg im Jahr par exemple. Les consommatrices devaient désormais s’approvi- 1930 sionner aux «débits». En 1930, les consommatrices exigèrent la réintroduction de la livraison gratuite du lait à domicile. Face au dédain affiché par les associations laitières, de nombreuses orga- nisations féminines s’organisèrent avec un grand sens stratégique pour défendre leurs intérêts sur le plan politique et dans les mé- Rahel Wehrlin dias. Elles suscitèrent une vague de solidarité dans la population. Comme les commerçants continuaient de faire la sourde oreille, les studiert Philosophie und Geschichte im Master an der Universität femmes biennoises décidèrent de les boycotter et de créer leur Bern. Seit Beginn ihres Studium interessiert sie sich für die neu- propre réseau d’approvisionnement. Leur démarche leur procura une grande visibilité ainsi qu’une reconnaissance politique, sociale ere Bieler Geschichte. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählt et économique certaine. Leur combat se poursuivit dans la lutte die Aufarbeitung wichtiger Prozesse, Entwicklungen und Aktivitä- pour le droit au suffrage politique. ten der Bieler Frauen- und Arbeiterbewegung. www.femmes-en-reseau-bienne.ch I Numéro double 2 / 18 5
WIR WEIBER NOUS LES FEMMES «Die grösste und unblutige Revolution des 20. Jahrhunderts» (Marthe Gosteli) Luzia Sutter Rehmann Die Frauen des 19. und 20. Jh. ermöglichten es der Schweiz 1971 Quellen – im Vergleich zu anderen S taaten allerdings erst sehr spät – das Ludi, Regula, Marguerite Gobat, in: Historisches Lexikon, URL: www. Frauenstimm- und -wahlrecht einzuführen: Nach Jemen (1970) und hls-dhs-dss.ch/textes/d/D9304.php (01.09.2018). noch knapp vor Bangladesch (1972). Witzig, Heidi, Mentalitätswandel und neue Öffentlichkeiten, in: Verein Frauenplatz Biel (Hg.): bieler frauen – grâce à elles. 20. Lebensge- Politische und volle bürgerliche Gleichstellung forderte eine Gruppe schichten von Frauen und Bieler Frauengeschichten ab 19. Jahrhundert. von Zürcher Frauen erstmals 1868. Zu dieser Zeit wohnte in der Bie- Biel 2009, S. 170–171. ler Obergasse Marie Goegg-Poucholin (1816–1899). Sie gründete die Der lange Weg zum Frauenstimmrecht in der Schweiz: eine Chronolo- Association internationale des femmes mit dem Ziel der Gleichstellung gie, URL: demokratie.geschichte-schweiz.ch/chronologie-frauenstimm- der Frau. Mit den folgenden Worten eröffnete sie 1873 die erste Num- recht-schweiz.html (01.09.2018). mer der Zeitschrift Solidarité: «Wir fordern die absolute Gleichstellung Frauenstimmrecht und Frauenbewegung, URL: www.frauennet.ch/in- der Frau vor dem Gesetze und in der Gesellschaft. […] Zwei Dinge gilt dex.php/frauen-bewegung/29-frauenstimmrecht-und-frauenbewegung es zu erreichen, bevor dieser Wandel möglich wird: […] zum einen, (03.09.2018). dass die Frauen endlich ihren wahren Wert erkennen, zum anderen, dass die Männer lernen, diesen anzuerkennen.» Ab 1900 entstanden lokale Stimmrechtsvereine, die sich bald national und international vernetzten. Marguerite Gobat (1870–1937) aus Evi- lard musste auf eine Berufsausbildung verzichten und ihrem Vater im internationalen Friedensbüro in Bern helfen, wurde aber später zur Mit- begründerin des Frauenweltbundes zur Förderung der internationalen Eintracht. 1916 nahm sie an der Friedenskonferenz der Ford-Mission in Stockholm teil. Sie gehörte dem Vorstand des Schweiz. Komitees RÉSUMÉ der internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit an. Sie schrieb und redigierte für die Genfer Zeitschrift Aujourd’hui (1918–23) und die «La libération de la femme est celle des droits Frauenzeitung Berna. humains, c’est la plus grande révolution paci- Im Krisenjahr 1918 war das Frauenstimmrecht die zweite von neun fique du XXe siècle». (Marthe Gosteli, féministe Forderungen des Oltener Aktionskomitees. Im Dezember desselben suisse, 1917–2017). Jahres wurden zwei erste Vorstösse für das Frauenstimmrecht auf Les Suissesses ont obtenu le droit de vote en 1971, peu après le eidgenössischer Ebene gemacht. 158 Frauenverbände reichten dazu Yémen (1970) et juste avant le Bangladesh (1972). Elles doivent cet eine Petition ein, um den Vorstössen mehr Gewicht zu verleihen. Tat- acquis à la lutte constante des femmes durant les 19e et 20e siècles. sächlich wurden sie als Motionen an den Bundesrat überwiesen – und Marie Goegg-Poucholin, militante socialiste et féministe, habitait verschwanden von der Bildfläche. 15 Jahre später, 1934, übergab der alors à la Rue du Haut en vieille ville de Bienne. Fondatrice du jour- FDP Bundesrat Häberlin das ungeliebte Geschäft seinem Nachfolger nal Solidarité, elle exigeait dans le premier numéro paru en 1873 mit dem Hinweis: «Das Material für das Frauenstimmrecht liegt in der l’entière égalité de la femme devant la loi et dans la société. Il fallait mittleren Schublade rechts Deines Schreibtisches». pour y parvenir que les femmes reconnaissent leur propre valeur et que les hommes apprennent à l’accepter. Als es nach unzähligen kantonalen und gemeindlichen Abstimmung Au tournant du siècle, des associations locales se formèrent en zum Frauenstimmrecht endlich zu einer nationalen Abstimmung kam, faveur du droit de vote, qui s’organisèrent au niveau suisse et inter- scheiterte diese am 1. Februar 1959. 66% der Männer lehnten es ab, national. Les motions déposées auprès des autorités, dont celles den Frauen das Mitspracherecht zu «geben». Als erster Kanton nahm du comité de grève d’Olten, végétèrent longtemps dans un tiroir. Neuenburg das Frauenstimmrecht an. Lors de la première votation nationale en 1959, 66 % des hommes Es brauchte noch längeren Atem, radikalere Aktionen, einen «Marsch refusèrent aux femmes le droit de vote et d’éligibilité. Le canton nach Bern» (1.3.1969) und das Mittun der konservativen Frauenorgani- de Neuchâtel l’introduisit en premier. Il fallut encore beaucoup de sationen, die feministische Frauenbefreiungsbewegung und die Berufs- persévérance, d’actions radicales comme la «marche sur Berne» et verbände, damit die zweite nationale Abstimmung 1971 durchgeführt de nombreuses années pour qu’en deuxième votation nationale en und gewonnen werden konnte. Die Rechtsanwältin und katholische 1971, les hommes acceptent le suffrage universel. Theologin Gertrud Heinzelmann, die sich jahrelang für das Stimmrecht eingesetzt hatte, atmete auf: «Endlich, endlich, endlich […] Von mir fallen Zentner. Die Aufgabe, die seit bald hundert Jahren ungelöst von einer Generation zur anderen tradiert wurde, hat in der letzten ‹Männer- abstimmung› […] ihre glanzvolle Erfüllung gefunden. Fortan wird es nur Luzia Sutter Rehmann noch Volksabstimmungen geben im wahren Sinn des Wortes.» ist Titularprofessorin für Neues Testament an der Universität Basel, mit Schwerpunkt Feministische Sozialgeschichte und Hungerrevolten. Sie ist Studienleiterin des Arbeitskreis für Zeitfragen Biel und aktive Vorstandsfrau des Frauenplatz Biel seit 2009. 6 Numéro double 2 / 18 I www.femmes-en-reseau-bienne.ch
WIR WEIBER NOUS LES FEMMES Abb. 5a, b: Postkarten, mit denen der Schweizer Verband für Frauenstimm- recht während des Ersten Weltkriegs für die politische Gleichberechtigung warb. Abb. 5c: Des progrès qui trainent, non-respect de la Constitution, mépris des pétitionnaires: l’escargot de la SAFFA (Schweizerische Ausstellung für Fraue- narbeit, la Landi des femmes) «manifeste» dans les rues de Berne en 1928. Abb. 5d: Plakat der BefürworterInnen des Frauenstimm- rechts. Abstim- mung 1954 in Basel. www.femmes-en-reseau-bienne.ch I Numéro double 2 / 18 7
WIR WEIBER NOUS LES FEMMES Die Frauenbewegung von 1971 bis heute Lisia Bürgi / Magda Kaspar Mit der Einführung des Frauenstimmrechts wurde eine zentrale Hür- Quellen de in der Gleichstellung der Geschlechter überwunden. Dennoch of- Geissbühler, Annemarie, Bieler Chronik 1991, in: Bieler Stadtbibliothek fenbarten sich auf rechtlicher, sozialer und wirtschaftlicher Ebene (Hg.), Biel 1991, S. 345. weiterhin Ungleichheiten. Durch eine kritische Auseinandersetzung mit der männlich dominierten 1968er Bewegung entstand die neue Weiterführende Literatur Frauenbewegung, die diese Ungleichheiten lautstark anprangerte. Eidgenössische Kommission für Frauenfragen (EKF), Neue Frauenbe- wegung und Frauenorganisation seit 1968, in: Dies.: Frauen, Macht, In den 1970er Jahren wurden auf zahlreichen Gebieten Anliegen der Geschichte. Zur Geschichte der Gleichstellung in der Schweiz 1848- Gleichstellung umgesetzt: Frauenbeizen und Gesundheitszentren wur- 2000, Bern 2011, URL: www.ekf.admin.ch/ekf/de/home/dokumen- den eröffnet, feministische Künstlerinnen und Autorinnen erlangten tation/geschichte-der-gleichstellung--frauen-macht-geschichte/frau- zunehmend Bekanntheit. Politische Forderungen wie der straffreie en-macht-geschichte-18482000.html (14.09.2018). Schwangerschaftsabbruch und eine umfassende Mutterschaftsversi- Schulz, Kristina, Leena Schmitter, Sarah Kiani, Frauenbewegung – Die cherung sorgten in den frühen 1970er Jahren für angeregte Debatten. Schweiz seit 1968. Analysen, Dokumente, Archive, Baden 2014. Die Bieler Regionalgruppe der Frauenbefreiungsbewegung umfasste rund 50 Frauen mit unterschiedlichsten Hintergründen. Mit einer Bro- schüre bemühten sie sich, die teilweise unterschiedlichen Anliegen von Müttern, hetero- und homosexuellen Frauen auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Dank dem Engagement von Frauen inner- und ausserhalb von Parla- menten gelang es im Laufe der Zeit, diese Anliegen auf das politische Parkett zu bringen und immer breiter abzustützen: Gleichstellungsbüros wurden gegründet, die Gleichstellung in der Verfassung verankert, das patriarchale Eherecht revidiert und schliesslich das Studienfach Ge- schlechterforschung an Universitäten etabliert. Durch die Institutiona- lisierung ab den 1980er Jahren nahm die politische Brisanz der neuen Frauenbewegung ab. Zehn Jahre nach der Einführung des Gleichstellungsartikels ging des- sen Umsetzung jedoch noch immer schleppend voran und Ungleich- heiten insbesondere im Lohnbereich hielten an. Aus diesem Grund rief eine weit über die Gewerkschaften hinausgehende Allianz am 14. Juni 1991 zum schweizweiten Frauenstreik auf. Unter dem Motto «Wenn Frau will, steht alles still!» legten eine halbe Million Frauen für einen Tag ihre Arbeit nieder und demonstrierten ihre wirtschaftliche Kraft. So auch in Biel: Die streikenden Frauen solidarisierten sich mit den Arbeiterinnen der Uhrenfabrik Certina/Mido. Die Fachstelle effe für frauenspezifische Erwachsenen- und Erwerbsbildung wurde 1993 aus der Taufe gehoben. 1995 wurde in Biel der Dachverein Frauenplatz Biel gegründet, der sich als Nachfolgeorganisation der Frauenstimm- rechts- und Frauenbefreiungsgruppen versteht und bis heute aktiv ist. Für gleiche Chancen von Frauen in der Arbeitswelt engagiert sich das zweisprachige Informations- und Beratungszentrum frac. Eine wichtige Errungenschaft der Frauenbewegung war die Aneignung des öffentlichen Raums, um die eigenen Anliegen auf die Strasse zu tragen. Durch den Ausschluss von Männern aus bestimmten Veran- staltungen sollten zudem Themen und die Diskussionskultur neu ge- staltet werden. Seit dem frühen 21. Jahrhundert greifen Feministinnen erneut auf diese Art von Protest zurück: Es werden Veranstaltungen nur für Frauen organisiert und im Rahmen des Women’s March wurden auch in der Schweiz BHs verbrannt. Seit den 1990er Jahren wird die Verbesserung der rechtlichen und sozialen Situation von Frauen auch im globalen, institutionalisierten Kontext eingehend diskutiert und von transnational agierenden Nichtregierungsorganisationen gefördert. Un- ter anderem dank der sozialen Medien kam es in den letzten Jahren zu einer verstärkten globalen Vernetzung von bewegten Frauen. Dies hat zu einem regen und schnellen Austausch von Symbolen und Protestfor- Abb. 6a: Artikel der Bieler Gruppe der Frauenbefreiungsbewegung, men geführt. So solidarisieren sich Feministinnen heute in Echtzeit mit der Vorgängerorganisation des Frauenplatz Biel. ihren Verbündeten auf anderen Kontinenten. 8 Numéro double 2 / 18 I www.femmes-en-reseau-bienne.ch
WIR WEIBER NOUS LES FEMMES Abb. 6b: Frauenstreik 14. Juni 1991 auf dem Ring, Biel. Abb. 6c: Cinq ans après la grève des femmes – Journée d’action pour la transparence des salaires à Bienne – A travail égal, salaire égal – les femmes pédalent toujours! 14 juin 1996. Lisia Bürgi RÉSUMÉ Le mouvement féministe de 1971 à nos jours ist Doktorandin und Assistentin am Historischen Institut der Une fois le droit de vote obtenu de haute lutte, le nouveau mouve- Universität Bern (Abteilung Schweizer und Neuste Allgemeine ment féministe s’est approprié dans les années 70 de nouveaux ter- Geschichte). Ihre Forschungsschwerpunkte sind u. a. Armut und rains afin de réduire les inégalités persistantes sur le plan juridique, Geschlecht sowie soziale Bewegungen, insbesondere Frauen- social et économique: centres de consultation et de rencontres bewegung nach 1968. Zudem leitet und konzipiert Lisia Bürgi réservés aux femmes, décriminalisation de l’avortement, assurance Stadtrundgänge in Bern. maternité, visibilité des femmes artistes et auteures par exemple. Le Mouvement de libération des femmes à Bienne comptait alors une cinquantaine de militantes représentant différents milieux aux intérêts parfois divergents. Des succès institutionnels comme la Magda Kaspar création des bureaux de l’égalité, l’introduction des études genre à l’université ou l’inscription de l’égalité dans la Constitution calmèrent provisoirement les ardeurs. Comme la loi sur l’égalité tardait à se ist Doktorandin am Historischen Institut der Universität Bern traduire dans les faits, notamment sur le plan des discriminations (Dozentur Migrationsgeschichte). Sie ist Projektkoordinatorin salariales, la grève nationale des femmes repris le flambeau et ras- des SNF-Forschungsprojekts Neue Frauenbewegung 2.0. Ihre sembla un demi-million de personnes le 14 juin 1991. Forschungsschwerpunkte umfassen Migrationsgeschichte und A Bienne, Effe fut fondée en 1993, Femmes en Réseau en 1995 et soziale Bewegungen/Frauenbewegung nach 1968. Frac en 1999. Ces dernières années, les réseaux sociaux notam- ment facilitèrent le renouveau des mouvements féministes, relayant des problématiques partagées dans d’autres régions du monde et faisant émerger une nouvelle solidarité internationale militante, avec de nouveaux moyens et symboles de lutte (MeToo, Women’s March, etc.). www.femmes-en-reseau-bienne.ch I Numéro double 2 / 18 9
WIR WEIBER NOUS LES FEMMES Nouvelle grève des femmes en vue? Lisa Mazzone Faut pas croire! Dans les faits, l’égalité est loin d’être réalisée. En leur rôle de reine du ménage à la naissance du premier enfant. Les 1981, la Suisse intégrait enfin l’égalité entre femmes et hommes pères, eux, sont écartés de leur responsabilité domestique. De la dans notre Constitution. Depuis lors, 37 années se sont écoulées et même manière, le service militaire obligatoire assigne les hommes à on piétine sur de nombreux aspects de sa réalisation. un rôle viril traditionnel, de combat et de défense, et éloigne les pères de la maison pendant des périodes répétées. Tout autant qu’un congé En premier lieu, l’égalité salariale. Chaque mois, ce sont 600 francs paternité de plusieurs mois est indispensable, l’abolition du service qui manquent dans le porte-monnaie des femmes, ce qui représente 7 militaire obligatoire pour mettre fin aux représentations genrées des milliards de francs qui sont annuellement subtilisés par les employeurs et rôles masculins et féminins me semble indispensable. qui, concrètement, réduisent l’autonomie financière des femmes. Parmi ces inégalités, 40 % n’ont aucune explication; il s’agit de discrimination Droit de vote, congé maternité ou interruption de grossesse sont le pure et simple. Si l’on ne veut pas attendre encore des décennies, il est fruit d’années de combats féministes. Ils ont montré qu’il ne faut pas clair que les mesures volontaires ne suffisent pas. L’égalité salariale ne compter sur la générosité de la majorité d’hommes dans l’économie se négocie pas. Comme devant un feu rouge, ceux qui ne la respectent et la politique. Ils ne nous donneront pas l’égalité. Au contraire, les pas devraient être sanctionnés. En ce sens, le projet actuellement progrès s’arrachent par la rue et la mobilisation. Une nouvelle grève des discuté au parlement est loin d’être suffisant, puisqu’il ne garantit que la femmes en 2019 est ainsi une étape obligatoire pour obtenir l’égalité transparence, mais ne prévoit aucune sanction. salariale, des quotas pour les postes à responsabilité et un véritable congé paternité. Cela ferait aussi office de coup de sifflet pour réveiller La représentation des femmes dans les postes à responsabilité est partis politiques et électrices-eurs, en cette année de renouvèlement étroitement liée à la question salariale. Elle est déterminante pour des chambres nationales, pour ne pas revivre le dimanche noir de renverser les rapports de force et créer un cercle vertueux, grâce à des 2015, qui n’avait vu que sept femmes rejoindre les 46 sièges du exemples qui changent les représentations du pouvoir. En entreprise, Conseil des Etats. Il est temps d’imposer l’égalité dans les mentalités, 92 % des postes de direction sont occupés par des hommes, tandis sans attendre des années! qu’en politique, les femmes sont moins de 25 % dans les gouvernements cantonaux. A une voix près, le Conseil national a décidé d’exiger des entreprises cotées en bourse qu’elles rendent public le pourcentage de femmes dans leurs instances et le justifie. Symboliquement, il s’agit d’un pas important. Mais dans les faits, l’absence de quotas contraignants rend la mesure peu efficace, tout comme en politique où la responsabilité repose avant tout sur les partis, dont certains rechignent à présenter et à promouvoir les femmes. Les progrès ne doivent pas se dérouler uniquement dans la sphère publique. Au contraire, la répartition des tâches dans les foyers est nécessaire pour permettre aux femmes de s’émanciper en dehors de Lisa Mazzone ceux-ci. Pourtant, les hommes ne bénéficient toujours pas d’un congé paternité digne de ce nom et les femmes se retrouvent assignées à est membre du Conseil national des Verts à Genève. Au moment de son élection, en 2015, elle était la plus jeune femme au Parlement. En plus de la politique d’égalité des sexes, de migra- tion et de paix, Lisa Mazzone s’est également engagée sur les questions de durabilité. Z U S A M M E N FA S S U N G Frauenstreik 2018? Das Frauenstimmrecht, der Mutterschaftsurlaub oder der legale Schwangerschaftsabbruch sind das Ergebnis jahrelanger feminis- tischer Kämpfe. Jedoch ist die tatsächliche Gleichstellung in der Schweiz noch lange nicht erreicht, denn die Realisierung bleibt in vielen Aspekten ungenügend: 1. Lohngleichheit; 2. Die Repräsen- tation von Frauen in Führungspositionen; 3. Die Rollenverteilung im Haushalt bleibt traditionell definiert und 4. Der Vaterschaftsur- laub ist immer noch nicht umgesetzt. Diese Tatsachen zeigen, dass es wieder Zeit ist für einen Frauenstreik, besonders auch im Hinblick auf die National- und Ständeratswahlen im Jahr 2019. 10 Numéro double 2 / 18 I www.femmes-en-reseau-bienne.ch
WIR WEIBER NOUS LES FEMMES Abb. 7a: Women‘s March Zürich, 18. März 2017. Abb. 7b: Les femmes syndicalistes manifestent le premier mai 2009 (ici à Zurich). Abb. 7c: Lohngleichheits-Demo, 22. September 2018, Bern. Abb. 7d: International: Women’s March in Washington, 21. Januar 2017. www.femmes-en-reseau-bienne.ch I Numéro double 2 / 18 11
Le Réseau Egalité s’engage! FRAUENPLATZ Biel/Bienne Agnès von Beust쒁 FEMMES EN RESEAU Quelques nouvelles du Réseau Egalité Berne francophone, commission cantonale de c/o Arbeitskreis für Zeitfragen treize membres en fonction depuis bientôt deux ans. En vue des élections au Grand Ring 3 Conseil de printemps 2018, le Réseau a mis en place une série d’activités de promo- 2502 Biel/Bienne tion des candidates féminines. L’année 2018 a également été l’occasion de reprendre www.frauenplatz-biel.ch certains thèmes d’actualité: • Trois modules ont lieu en automne pour soutenir une vingtaine de participantes actives In eigener Sache dans le monde du travail dans le développement de leur potentiel. Négociation sala- riale, identification des mécanismes du pouvoir et développement personnel sont au menu. Toutes les places sont déjà prises. Zum Projekt «‹Wir Weiber!› – Frauen im • Une soirée de discussions sur la question du réseautage pour les élues de la Berne Streik 1918–2018» läuft noch bis zum francophone est à l’affiche. L’animatrice de cette soirée a soutenu la création d’un 15. November ein Crowdfunding. Über réseau dans le canton de Vaud. Modèle transposable ? Unterstützungsbeiträge freuen wir uns. Mehr Infos unter: https://wemakeit.com/ Plus d’informations: www.sta.be.ch/reseauegalite projects/wir-weiber-1918-2018 Avec ces activités, le Réseau Egalité s’engage pour une plus grande diversité dans les mondes politiques et économiques. L’année 2019 réserve également de belles surprises, avec très probablement la question des genres vue du côté des hommes. À Impressum quand un congé parental digne de ce nom? Herausgeberin/ Editeur: Frauenplatz Biel Agnès von Beust travaille comme avocate à Bienne et s’engage depuis bientôt dix ans Femmes en réseau Bienne pour que la société évolue vers toujours plus d’égalité. Erscheinungsform/ Parution: erscheint halb – vierteljährlich 2–4 fois par année Agenda Auflage/ Tirage: 500 Ex. 8. November/ 8 novembre 2018 Abonnement/Abonnement : Nationaler Zukunftstag – Seitenwechsel für Mädchen und Jungs CHF 20.– p.a. / 20.– Fr. p.a. Futur en tous les genres – Nouvelles perspectives pour filles et garçons Redaktion/ Rédaction: www.nationalerzukunftstag.ch/ Melissa Flück, Katharina Stöckli 11. November 2018 Übersetzungen/ Traductions: «Wir Weiber!» – Frauen im Streik 1918–2018 Nicole Ding Frauenstadtrundgang in Biel Grafik/ Layout: 11.00/ 14.30 Uhr, bilingue (Verständnis beider Sprachen wird vorausgesetzt) RondPoint, Bienne, www.rondpoint.ch Treffpunkt: Neumarktplatz Biel, Kosten: 10.–. Produktion / Production: 11 novembre 2018 nhx, New.Helio-XPress GmbH «Nous les femmes!» – D’une grève à l’autre 1918–2018 Bildquellen: Visite guidée de Bienne dans la perspective des femmes. Abb. 1 H. Jüllig: Wir Weiber!. In: Die 11h00/ 14h30, bilingue (compréhension des deux langues nécessaire) Vorkämpferin: verficht die Interessen Rendez-vous: Place du Marché-Neuf à Bienne, contribution: 10 CHF der arbeitenden Frauen. Bd. 15, Heft November/ novembre 2018 5 (1920). S. 8. | Abb. 2a–c Photogra- BRIGITTE HÄHLEN GEIGER – TEXTUREN – FARBEN – FIGURENE – BILDER phies de la vieille ville de Bienne faites Ausstellung von/ exposition de Brigitte Hählen, Arbeitskreis für Zeitfragen, Ring 3 par la police après l’émeute de la faim, 09.07.1918, Archives de l’Etat de Berne, Buchprojekt/ projet de livre Bez Biel B1868. | Abb. 3 Stadtarchiv Das Buchprojekt zur Geschichte Schwarzer Frauen in Biel von Fork Burke, Myriam Diarra und Biel, Städtische Postkartensammlung. | Franziska Schutzbach nimmt einen neuen Anlauf. Abb. 4 Gosteli-Stiftung? | Abb. 5a Post- Mehr zum Projekt unter: www.woz.ch/-7827 karte Gleiche Rechte: Archiv Debrit-Vogel Le projet de livre sur l’histoire des femmes noires à Bienne de Fork Burke, Myriam Diarra et 530:8:53-31-06 (Gosteli-Stiftung). | Abb. Franziska Schutzbach prend un nouvel élan. 5b Postkarte Pour la Justice: Archiv Pour en savoir plus sur le projet: www.woz.ch/-7827 Debrit-Vogel 530:8:53-31-07 (Gosteli-Stif- Aus aktuellem Anlass tung). | Abb. 5c Fotosammlung A/226 Knapp 30 Jahre nach dem ersten und bislang einzigen schweizweiten Frauenstreik von 1991 (Gosteli-Stiftung). | Abb. 5d «my Mammi entschied der Frauenkongress des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, für den 14. Juni goht go stimme», Béatrice Afflerbach, 2019 zum zweiten nationalen Frauenstreik aufzurufen. Aktionskomitee für die Basler Frau- Mehr Informationen unter: enbewegung (Gosteli-Stiftung, Mappe www.sozialismus.ch/frauenstreik Frauenstimmrecht). | Abb. 6a Archiv FBB 153: 2:20-01 (Gosteli-Stiftung). | Abb. A ce propos 6b–c Frauenplatz Biel. | Abb. 7a Unia. | Près de 30 ans après la première et unique grève nationale des femmes en 1991, le Congrès Abb. 7b VPOD Zürich. | Abb. 7c Fotogra- des femmes de l’Union syndicale suisse a décidé d’appeler à une deuxième grève nationale fin: Yoshiko-Kusano | Abb. 7d Katharina des femmes le 14 juin 2019. Stöckli. www.sozialismus.ch/frauenstreik (en allemand uniquement)
Vous pouvez aussi lire